Kapitel 95

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Persönliche Chronik, Teil 1:

ACHTUNG SCHELMENROMANALARM!

„Ach du lieber Augustin alles ist hin…“ Das hörte mein Opi wahrscheinlich öfters. August war am 20. 4. 1903 geboren, dadurch hatte er in der Nazi-Zeit eine gewisse Narrenfreiheit, da die Scheiß- Nazis in ihrem Personenkult um ihren Scheiß-Hitler, der auch an einem 20. 4 Geburtstag feierte, in lĂ€cherlicher Weise aberglĂ€ubisch waren. So wurde er vom Nazinachbarn gemobbt, er wĂŒrde heimlich am VolksempfĂ€nger die deutschsprachige englische Antinazisendung abhören, was er in Aachen, na logo, auch tat. Die berĂŒchtigt brutale Öcher SA holte in frĂŒhmorgens um fĂŒnf ab, wobei er noch im Schlafanzug auf den Pritschenlaster geladen, und in entwĂŒrdigender Weise vorgeladen wurde. Die SA stoß beim Öffnen der WohnungstĂŒre diese so heftig auf, daß meine liebe Omi Maria verletzt wurde. Auf der SA-Wache bemerkte der SA-NaziblockwartfĂŒhrer ungefĂ€hr so: „August, du hast GlĂŒck, brauchst nicht ins Kazett. Du bist an FĂŒhrer’s Geburtstag, an einem 20. April geboren, du kannst gehen, aber mach das nicht nochmal!“ Tag’s spĂ€ter geht er mit einem Stapel BĂŒcher, er war nur ein Schneider, in seine Stammkneipe. „Die 3 BĂŒcher mĂŒsst ihr lesen Freunde!“ Er arbeitete in einer jĂŒdischen Firma. Soviel ich weiß hieß die Firma Montanus. Den Schriftzug konnte ich als 6 jĂ€hriger Knabe aus dem Eisenbahnwagonfenster kurz vor Einfahrt in den Hbf-Aachen lesen, wenn ich in Fahrtrichtung links hinabschaute ,wenn der Zug oben auf dem Viadukt fuhr. Da arbeitete August, er lebte bis ’66. Wenn ich in den Ferien zu meiner lieben Tante Marlis Jandeleit, einer begnadeten HobbykĂŒnstlerin zu Besuch kam sah ich den Schriftzug. Tante Marlis machte Scherenschnitte und Zeichnungen. Sie erzĂ€hlte mir viel aus der schlimmen Nazizeit und ĂŒber unsere Familie. So könnte ich auch ĂŒber mich einiges erfahren, was ich von Muttern nicht erfahren hĂ€tte können. August hielt seinen Kumpels drei BĂŒcher vor die Nas: Hitlers ’Mein Kampf‘, Karl Marx, ’Das Kapital’ und die Bibel. Das Ergebnis war, daß alle vorgaben, etwas Dringendes zu erledigen zu haben und leider gar keine Zeit hĂ€tten. Keiner wollte Ärger, so eine Paranoia, so eine Horrorangst hatten sie vor dem Terror des Naziregimes. Zur Nachmusterung öfters einberufen entzog er sich einmal, indem er trotz Fliegeralarms mit seinem besten Freund in Unterhosen im Musterungsraum verblieb. Als die ’Musternazis’ aus dem Bunker zurĂŒck kamen standen die zwei, im dann zum halbzerstörten Untersuchungsraum, im Musterungsraum, immer noch blöd rum. Als zu dumm und zu leicht, er wog nur hundertzehn Pfund, wurde er fĂŒr untauglich befunden, abgestempelt, und nach Hause geschickt. Irgendwann spĂ€ter kam er doch noch an die Flack, die er ’versehentlich’ zerstörte, da er eine Granate verkehrt herum einschob. Mit der BegrĂŒndung: „Wegen dir August, verlieren wir noch den Krieg!“ Er wurde wieder nach Hause geschickt. Sie ließen ihn dann endlich in Ruhe. Er hatte die lehrreiche Buchempfehlung im Gegensatz zu seinen Arbeitskollegen ernstgenommen, und wußte Bescheid, was den Nazi-Scheiß betraf. Das blaue ’Mein Kampf’ Buchmachwerk bekam er geschenkt bei der Geburt meiner Mutter. Die gebundene Ausgabe hat das gleiche Format wie die rote Bibel, nur eben in blauer Bindung. Ohne jede Zitathinweise geschweige denn Zitatverzeichnis blökt aus jeder Zeile Nazivölkisches; Hasstiraden gegen ‚AuslĂ€nder‘, ‚Juden‘, ‚Zigeuner‘, ‚Untermenschen‘ Fakes ohne Ende. Alleine, daß nicht zitiert wird, nötigt quasi jeden einigermaßen gebildeten Leser zum Nichtlesenwollen, zur Ablehnung. Daß das Buch, das fast in jedem Haushalt verfĂŒgbar war, nicht gelesen wurde, oder doch, oder so gut wie nie, bleibt mir ein RĂ€tsel. Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul? Oder haben es etwa nur relativ Ungebildete gelesen? Im Agnesviertel, rechts der Neusser Str., Richtung Nippes, in Köln lebten die Betuchteren, links die Arbeiter, meist Eisenbahner. Es wĂ€hlten mehrheitlich die Arbeiter die NSDAP. Ruft mich an, dann gebe ich euch die isbn-Buchnummer. Damals wie Heute gilt: Mach dem Volk Angst, und es wĂ€hlt ‚rechts‘.Heute ist der 13. 3.‚21. Morgen ist Wahltag, ihr werdet es sehen, zudem gilt bei Wahlen: Außer Spesen, nichts gewesen.

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